Katastrophenopfer: An die psychische Versorgung denken!
Wien (OTS) - Bei Opfern schwerer Unfälle müsse neben der medizinischen auch psychologische Erste Hilfe geleistet werden. Damit könnten langfristige Folgen wie die Entwicklung einer Posttraumatischen Störung weitgehend verhindert werden, betonten Experten vergangenen Samstag anläßlich eines von Univ.Prof. Dr. Heinz Katschnig geleiteten internationalen Symposiums an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien.
Eine Aufarbeitung des Traumas ist bei überlebenden Opfern, Angehörigen und Rettern in der ersten Phase nach dem Unfall zwar noch nicht möglich", erklärte der deutsche Psychologe Georg Pieper im Rahmen des Symposiums 'Posttraumatische Störungen - Die Folgen seelischer Extrembelastungen" am Wiener AKH. Durch das Besprechen der schrecklichen Eindrücke, durch Beruhigen und Trösten, könne aber schon in den ersten Stunden nach dem Unfall verhindert werden, daß der Einzelne mit der Situation überfordert werde. Pieper zog in seinem Vortrag Parallelen zwischen dem jüngsten Zugsunglück im norddeutschen Eschede und der Bergbaukatastrophe von Borken (Deutschland) vor genau zehn Jahren. Damals wie heute boten sich Ersthelfern und Zeugen ähnliche Bilder. Die Bedeutung einer unmittelbar am Unfallort gebotenen psychischen Unterstützung durch Mediziner, Psychologen, aber auch durch Pfarrer oder Sozialarbeiter kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber auch langfristig, so zeigte sich in Folge des Grubenunglücks, benötigten viele der Betroffenen psychische Betreuung, "nicht um zu vergessen, sondern um mit der Erinnerung leben zu lernen" (Pieper).
Zwt: Posttraumatische Belastungsstörungen
Die Konfrontation mit dem Tod wie sie im Rahmen ungewöhnlicher, katastrophaler Ereignisse, aber auch bei Autounfällen, Gewalttaten oder politisch Verfolgten auftritt, stellt einen massiven Streßfaktor dar, mit dem nur die wenigsten Menschen alleine fertig werden. "Die Zeitungen sind täglich voll von Meldungen, wo wir uns fragen müssen, wie es den Betroffenen geht", mahnte Univ. Prof. Dr. Heinz Katschnig, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie. Das als "Posttraumatische Belastungsstörung" oder "Post Traumatic Stress Disorder" (PTSD) bezeichnete Krankheitsbild äußert sich vor allem in Symptomen wie immer wiederkehrenden und belastenden Erinnerungen an das Unglück, sogenannten Intrusionen, einer erhöhten Reizbarkeit und einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten. Alles, was nur irgendwie die Erinnerung wachrufen könnte wie etwa das Lesen einer Tageszeitung oder das Tragen bestimmter Kleidungsstücke wird ängstlich gemieden. In einigen Fällen kann die Belastung sogar bis zur Berufsunfähigkeit führen oder Umschulungsmaßnahmen erforderlich machen. Neuesten Untersuchungen zufolge leidet jedes fünfte Opfer von Verkehrsunfällen und mehr als die Hälfte aller vergewaltigten Frauen langfristig an einer PTSD-Symptomatik.
Posttraumatische Störungen erhöhen zudem das Risiko für andere Krankheiten um ein Vielfaches. So leidet eine Vielzahl früherer Unfallopfer an Angststörungen, Depressionen oder Panikattacken. Die Gefahr einer späteren Herz-Kreislauf-Erkrankung steigt um das Dreifache: "Auch dürfen wir die etwaige Suizidgefahr bei diesen Patienten nicht übersehen", warnte Katschnig.
Das Risiko der Entwicklung einer Posttraumatischen Störung, so zeigen die Daten einer kürzlich in Freiburg (Deutschland) durchgeführten Untersuchung, hängt nicht nur vom Unfallhergang sowie dem Grad der körperlichen Verletzungen, sondern auch von persönlichen Dispositionen ab. Elisabeth Nyberg, Psychologin an der Freiburger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik, wies außerdem darauf hin, daß nach Unfällen Frauen im Vergleich zu Männern etwa doppelt so häufig von einem PTSD betroffen sind. Patienten, die später unter Posttraumatischen Störungen leiden, so zeigt ein weiteres Resultat der Freiburger Studie, benötigen - unabhängig vom Schweregrad der körperlichen Verletzungen - auch einen längeren Spitalsaufenthalt. "Wir arbeiten gegenwärtig an der Entwicklung eines Screening-Instrumentes, das es den Unfallchirurgen ermöglichen soll, die Risikofaktoren für spätere PTSD-Patienten zu erkennen", berichtete Nyberg. Auf diese Weise könnten schon rechtzeitig psychologische Interventionen gesetzt werden.
Zwt: Therapie: Vorsichtige Konfrontation
In der Behandlung von Patienten mit PTSD scheinen nach Ansicht der Experten sogenannte verhaltenstherapeutische Ansätze als besonders geeignet. Es handelt sich dabei um eine Form der Psychotherapie, bei der die Patienten zunächst "in sensu", also in Gedanken, das auslösende Ereignis noch einmal erleben. Später kann dann etwa durch das Aufsuchen der Unfallstelle eine "in vivo"-Exposition durchgeführt werden, um den Patienten zu zeigen, daß sie die Konfrontation mit ihren Erinnerungen aushalten können. Diese Behandlungsmethode verhalf etwa einem der Grubenwehr-Männer (Feuerwehr unter Tage, Anm.) von Borken, der seit dem Bergwerksunglück weitgehend arbeitsunfähig war und kurz vor der Frühpensionierung stand, wieder zu voller Arbeitsfähigkeit in seinem erlernten Beruf.
Auch die Pharmakotherapie hat sich in der Behandlung von Posttraumatischen Störungen bewährt. Sie stellt vor allem dann eine sinnvolle Ergänzung im Gesamtbehandlungsplan dar, wenn die Patienten unter Panikattacken, depressiven Symptomen oder Halluzinationen leiden. Gerade für letzteres Symptom gibt es kein psychotherapeutisches Verfahren, das Abhilfe schaffen kann. "Allerdings", so warnte DDr. Michael Bauer von der Psychiatrischen Klinik an der Freien Universität Berlin im Rahmen des Symposiums, "sollte die Behandlung mit Psychopharmaka nur von einem Arzt durchgeführt werden, der ausreichende Erfahrungen damit hat".
Zwt: Eisenbahnunglück: "Inbegriff allen Schreckens"
Es erscheint fast wie eine Ironie des Schicksals, daß sich Mediziner im ausgehenden 19. Jahrhundert infolge der bei Opfern von Eisenbahnunfällen auftretenden Störungen erstmals mit dem heute als PTSD bekannten Krankheitsbild auseinandersetzten. Allen voran war es der Lehrer Sigmund Freuds, Jean Martin Charcot, der die Unfallopfer psychologisch untersuchte. Ihm gelang es auch, den Vorwurf, es handle sich bei ihren körperlichen Symptomen um Simulationen, ärztlich zu entkräften und so den Opfern zu Entschädigungszahlungen verhelfen. Litten die Opfer von Eisenbahnunfällen damals häufig an psychogenen Lähmungen, so äußerte sich das Erscheinungsbild der Posttraumatischen Störungen bei Veteranen des I. Weltkrieges vor allem in ausgeprägtem Zittern ("Kriegszitterer"). Intensiviert wurde die Forschung auf diesem Gebiet in den 70er Jahren, angesichts der durch Vietnamkrieg, Folter, sexuelle Traumatisierung, aber auch durch Konzentrationslagerhaft hervorgerufenen psychischen Störungen. Als eigene psychiatrische Diagnose existiert PTSD allerdings erst seit Beginn der 80er Jahre.
"Gerade für die Anerkennung von Entschädigungsansprüchen kommt diesem Umstand große Bedeutung zu", meinte Prof. Dr. Stefan Priebe, Vorstand der Psychiatrischen Abteilung an der Royal London School of Medicine. Er forderte auch nach sinnvollen Versorgungsansätzen für Patienten mit PTSD, warnte gleichzeitig aber vor allzuviel "politischer Korrektheit". "Solche Einrichtungen müssen gezielt geplant, koordiniert und von Fachleuten mit entsprechender Ausbildung betrieben werden", so Priebe. Isolierte Spezialdienste wären dagegen kaum zielführend.
Zwt: Prävention möglich
Naturkatastrophen und Unfälle können zwar nicht verhindert werden, durch die gezielte Vorbereitung von Risikogruppen (Psycho-Edukation) kann jedoch eine gewisse Präventionsarbeit geleistet werden. Die rechtzeitige Konfrontation mit dem, was sie erwarten könnte, kann bei Mitgliedern von Rettungstrupps die Auswirkungen des psychischen Traumas deutlich verringern, betonte der Londoner Psychiater im Rahmen des Symposiums. Ein Exempel statuierte auf diesem Gebiet etwa die britische Armee, die psychiatrisch ausgebildete Pflegekräfte an den Kriegsschauplätzen in Ex-Jugoslawien einsetzte. Ihre Aufgabe war es, den Soldaten bei der Bewältigung von hierzulande kaum vorstellbaren Eindrücken wie der Entdeckung von Massengräbern psychische Erste Hilfe zu leisten.
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