Offener Brief zu Österreichs sicherheitspolitischen Optionen
Keine Ratifizierung der Amsterdamer Verträge
Wien (OTS) - Liebe Genossin! Lieber Genosse!
Am Dienstag den 26. Mai 1998 wird im Ministerrat der EU-Vertrag von Amsterdam behandelt und anschließend in den Nationalrat eingebracht. Anläßlich dieser tagespolitischen Aktualität möchten wir Dich noch einmal auf die weitreichenden Punkte des Amsterdamer Vertrages aufmerksam machen und Dir unsere Vorstellungen und Forderungen zur sicherheitspolitischen Zukunft Österreichs präsentieren.
Mit dem "Versuch" des Optionenberichtes gelang es zwar (zumindest vorläufig) die Gefahr eines NATO-Beitrittes zu bannen - nachwievor sieht SP-Parteivorsitzender Klima "keine Notwendigkeit für einen Beitritt zu einem Militärpakt" (4.3.1998) - es wurde jedoch gleichzeitig eine "Aufwertung der Erweiterten Partnerschaft für den Frieden (PfP, PfP+/Anm.d.Verf.) sowie eine aktive Rolle der EU und ihrem militärischen Arm WEU" gefordert (ebd.). Doch selbst die letztgenannten "Optionen" stellen nicht nur eine Gefahr für Österreichs Neutralität dar, sondern sind mit ihr schlicht unvereinbar.
Im Amsterdamer Vertrag wurde nicht nur das Bekenntnis abgegeben, die WEU in die Europäische Union zu integrieren, sondern auch weitere Schritte gesetzt, um die EU zu einer militärischen Großmacht auszubauen. Die so oft zitierte gemeinsame europäische Sicherheitsordnung bedeutet allerdings nicht den Aufbau eines kollektiven Sicherheitsorgans, sondern ein überaltertes Militärbündnis alter Schule wie die NATO. Die EU definiert sich in den Amsterdamer Verträgen als Institution, die notfalls - auch nach außen - mit militärischen Mitteln friedensschaffende Einsätze durchführen wird.
Diese Form der europäischen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) würde zum Aufbau einer Sicherheitsstruktur führen, die notfalls auch gegen den Willen der USA (sprich NATO), die Interessen des europäischen Kapitals sichern bzw. durchsetzen würde. Eine Ratifizierung der Amsterdamer Verträge würde die vollinhaltliche Unterstützung der militärischen Großmachtbestrebung der Europäischen Union bedeuten. Dies kann auch nicht durch die Tatsache relativiert werden, daß Österreich zu keiner Teilnahme an militärischen Operationen gezwungen werden kann. Neutralität steht für das Bekenntnis militärische Krisenbewältigung aktiv zu verhindern und ist daher nicht mit einer Ratifizierung vereinbar.
Doch eine Ablehnung der Genehmigung der Amsterdamer Verträge ist nur ein Schritt, um ein neutralitätskonformes Verhalten Österreichs wiederherzustellen. In den vergangenen Jahren wurden (teilweise an der Öffentlichkeit vorbei) mehrere Vereinbarungen getroffen, die Österreich immer weiter vom neutral agierenden Land entfernten:
Beispielsweise das Sicherheitsabkommen mit der WEU (Beobachterstatus) z.B. oder div. Vereinbarungen im Rahmen der PfP (zuletzt das NATO-Truppenstatut). Einen weiteren Schritt in Richtung militärischer Integration würde auch die erweiterte Partnerschaft für den Frieden darstellen. Die in diesen Übereinkommen ebenfalls verankerten humanitären Verantwortlichkeiten sind ebenso gut in nicht-militärischen Strukturen realisierbar.
Die vom Parteivorsitzenden Klima gepriesene NATO-PfP ist keine wirkliche "Partnerschaft für den Frieden". Gut versteckt befindet sich neben friedenswahrenden Aufgaben und humanitären Operationen bereits ein Persilschein für "andere eventuell noch zu vereinbarende Aufgaben" (Rahmendokument). In Wahrheit ist die PfP das Vorzimmer zur NATO, wo man sich gegenseitig kennenlernt, die Militärapparate aufeinander abstimmt und, durch die hohe Beteiligung, eine militärische Parallelstruktur zu NATO und WEU aufbaut. Noch weiter geht die PfP+. Sie beinhaltet zwar nicht die Beistandspflicht, jedoch sollen die Partner an gemeinsamen militärischen Aktionen teilnehmen können, die nicht nur der Wahrung, sondern auch der Wiederherstellung (Erzwingung), des Friedens (Peacemaking, Peacekeeping) dienen sollen.
Was wirklich hinter den PfP und PfP+ Erweiterungen steckt, deckt der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe auf, für den das freie Europa nicht an der Oder-Neiße Grenze endet! "Der Osten darf kein Niemandsland werden, weder in ökonomischer noch in sicherheitspolitischen Angelegenheiten." (Internet)
Ein gesamteuropäisches Sicherheitsprojekt ist notwendig, doch es sollte klar gestellt werden, was man darunter versteht:
* eine wirkliche gesamteuropäische Sicherheitsordnung, die alle Staaten offen steht und nicht vor- bzw. gegeneinander, sondern gemeinsam schützt - oder
* ein westeuropäisches Militärbündnis, das sich nach Osten erweitert, dabei allerdings selektiv Mitglieder aufnimmt und gegen (potentielle) "Außenfeinde" gerichtet ist.
Die Mitarbeit Österreichs am ersten Modell wäre mit der Neutralität nicht nur vereinbar, sondern geradezu ein Musterbeispiel für eine aktive Neutralitätspolitik unter den veränderten Bedingungen in Europa. Lange Zeit hat man Sicherheitspolitik mit den Interessen von Rüstungskonzernen oder machtbesessenen Militaristen verwechselt. Heute sollte man eigentlich langsam zur Erkenntnis kommen, daß Sicherheit nur in einem sehr begrenzten Bereich mit Militär und Waffen zu tun hat - und daß daher die Gleichsetzung von "Sicherheitssystem" mit "Militärbündnis" einem veralteten Denken entspringt.
Österreich, das in den vergangenen Jahrzehnten, bevor die Stahlhelme der ÖVP das Außenministerium übernahmen, im Osten Europas - vor allem aufgrund seiner Neutralität - einen guten Namen hatte, könnte mithelfen, dieses Blockdenken zu überwinden, dazu müßte allerdings die Vernunft die Mehrheit in der österreichischen Regierung erlangen.
Hier könnte bzw. müßte die SPÖ einiges aus dem Erfahrungsschatz einer jahrzehntelang erfolgreichen aktiven Neutralitätspolitik vermitteln, selbst wieder die Maßstäbe einer zukunftsorientierten und visionären Sicherheitspolitik vorgeben und die Alleingänge wildgewordener ÖVP Minister einbremsen.
Österreich muß daher zu einem aktiven Neutralitätsverständnis zurückkehren.
Deshalb fordern wir Dich auf:
* den Vertrag von Amsterdam nicht zu ratifizieren
* für Neuverhandlungen einzutreten, bei denen sich Österreich aktiv gegen eine Militarisierung der EU ausspricht.
weiters treten wir ein für:
* Aufgeben des Beobachterstatus in der WEU!
* Kündigung des Truppenstatus und der anderen Vereinbarungen, die im Rahmen von PFP getroffen wurden!
* Keine weiteren Verhandlungen über die erweiterte Partnerschaft für den Frieden!
Würde Österreich diesen Weg beschreiten, wären wir in der Lage gemeinsam an einer Reform der UNO und der OSZE zu arbeiten, unsere aktive Rolle für Vermittlungen wahrzunehmen, und für eine nichtmilitärische Lösung von Konflikten einzutreten. Wir könnten aufhören darüber zu diskutieren, ob Österreich seine Neutralität noch braucht und endlich wieder aktive Sicherheitspolitik betreiben.
In diesem Sinne hoffen wir auf Deine Unterstützung und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
Robert Pichler Eva Czernohorsky e.h. SJÖ-Bundesvorsitzender VSStÖ-Bundesvorsitzende
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Sozialistische Jugend Österreich
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